"Betrachte jede Krise als Chance zur Veränderung"

 Anti-Gewalt-Training in der Beratungsstelle Zweite Chance 

Effektive Unterstützung bei Problemen, aggressives Verhalten zu kontrollieren  

Die Medien berichten immer häufiger von brutalen Gewalttaten - es scheint, als würde die Gewaltbereitschaft unserer Gesellschaft immer weiter ansteigen. Im Jahr 2019 wurden laut polizeilicher Kriminalstatistik 386.517 Fälle von vorsätzlicher einfacher Körperverletzung registriert (vgl. PKS, Bundeskriminalamt, Berichtjahr 2019). Doch warum ist das so und was kann gegen oder besser für die Täter getan werden? Die Beratungsstelle Zweite Chance bietet ein Anti-Gewalt-Training und ein Anti-Aggressivitäts-Training, welche das Ziel verfolgen, die Teilnehmer_innen dabei zu unterstützen das eigene Verhalten zu kontrollierenProvokationen zu bewältigen und Konflikte gewaltfrei zu lösen. Die Teilnehmer_innen sollen dahingehend bestärkt werden, dass sie Verantwortung für ihr Verhalten übernehmen und für sich neue Handlungsalternativen erarbeiten.  



Gewalt ist kein geschlechtsspezifisches Merkmal 

Das Anti-Gewalt-Training richtet sich nicht ausschließlich an männliche Gewalttäter. Auch wenn von Mädchen und Frauen ausgeübte Gewalttaten nicht so sehr im gesellschaftlichen Fokus stehen, so ist dieses Phänomen doch existent. Die im Jahre 2017 registrierten o.g. Fälle von Körperverletzung wurden zu 19% von Frauen begangen (vgl. PKS, Bundeskriminalamt, Berichtjahr 2017). Dementsprechend benötigen auch Mädchen und Frauen Unterstützung bei der Aggressionsbewältigung.


Gründe für gewalttätiges Verhalten 

Die Gründe, weshalb ein Mensch aggressives Verhalten zeigt, sind vielfältig und von außen meist nicht klar erkennbar. Forschungen ergaben, dass sich "Aggression sowohl durch Frustration als auch durch Provokation auslösen lässt" (Ute Habel, Universitätsklinikum Aachen). Bei der Ausübung von Gewalt werden Gefühle, wie beispielsweise Empathie, weitestgehend unterdrückt. Dies trägt zur Erklärung bei, weshalb Gewalttäter oftmals noch auf ihre Opfer einschlagen oder eintreten, obwohl diese bereits am Boden liegen und wehrlos sind. Darüberhinaus hat Herr Mathiak vom Universitätsklinikum Aachen im Rahmen von Gehirnforschungen herausgefunden, dass Erfolgserlebnisse, welche mit Gewalt zusammenhängen, anders im Gehirn gespeichert werden als Erfolge, welche ohne Anwendung von Gewalt entstanden sind. Sprich: Der Mensch lernt, wann Gewalt zum Erfolg führt und wann diese Strategie nicht erfolgreich ist. Gewalt ist dementsprechend als eine "Erfolgsstrategie" zu sehen. Dabei handelt es sich nicht um eine angeborene Eigenschaft, sondern um einen Entwicklungsprozess. 




Kinder und Heranwachsende, die Gewalt als erfolgreiche Strategie zu Erreichung persönlicher Ziele erleben, sehen keine Notwenigkeit darin, ihr Verhalten zu verändern. Das familiäre Umfeld ist für diesen Prozess sehr entscheidend: Kinder, die durch ihre Eltern und/oder ihren sozialen Nahbereich Gewalt als Lösungsstrategie kennengelernt haben, verfügen häufig über keine oder nur wenige Handlungsalternativen. Darüberhinaus können bestimmte kulturelle Werte und Einstellungen, wie beispielsweise das Verteidigen der Familienehre, einen Einfluss auf die Gewaltbereitschaft haben. Auch kann ein geringes Selbstwertgefühl ein Grund für die Anwendung von Gewalt darstellen - wie eine "Selbstbewusstseins-Tankstelle" können Gewalttäter_innen ihr schwach ausgeprägtes Selbstbewusstsein schnell und einfach wieder aufbessern. Ein weiterer Auslöser für aggressives Verhalten kann das Gefühl der Unterlegenheit sein - Gewalt dient dazu, dieses Gefühl zu kompensieren.


Unterscheidung Anti-Aggressivitäts-Training (AAT) und Anti-Gewalt-Training (AGT)

Im Unterschied zum Anti-Gewalt-Training ist das Anti-Aggressivitäts-Training durch das deutsche Marken und Patentamt geschützt. Damit einher gehen Qualitätsstandards, wie der äußere Rahmen (Angebot richtet sich an eine Gruppe, Altersgrenzen, Gruppengröße) oder die Vorgabe der ausgeschlossenen Tätergruppen (Sexualstraftäter_innen, Mitglieder organisierter Kriminalität, psychisch kranke Personen (Suizidgefährdete) und emotional labile Personen, Personen mit einer Intelligenzminderung, akut Suchtmittelabhängige, Stalker_innen, Amokläufer_innen, Täter häuslicher Gewalt/ Beziehungsgewalt (Gewalt im sozialen Nahraum).

Um auch Einzelgespräche und ein Angebot für viele der ausgeschlossenen Tätergruppen anbieten zu können bietet die Beratungsstelle Zweite Chance das Anti-Gewalt-Training an.


Ablauf und Inhalte des Anti-Gewalt-Trainings

Bei dem Anti-Gewalt-Training in der Beratungsstelle Zweite Chance in Bremen handelt es sich um eine deliktspezifische, konfrontativ-pädagogische Maßnahme für gewalttätige und aggressive Menschen. 

Das Training umfasst sowohl Einzel- wie auch Gruppensettings für Kinder, welche das 12. Lebensjahr vollendet haben, Jugendliche und Erwachsene aller Geschlechter. Im Einzelfall können auch Kinder in das Training aufgenommen werden, welche das 12. Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Ebenso können Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung das Anti-Gewalt-Training wahrnehmen. Vor dem Beginn des Anti-Gewalt-Trainings steht ein Aufnahmegespräch. Dabei soll die Eignung des Klienten/der Klientin für die Teilnahme an dem Training ermittelt werden. Ebenso wird die Motivation des Klienten/der Klientin für das Training eruiert. Diese ist zunächst meist extrinsisch. Die Erfahrung bisheriger Trainings zeigt, dass sich extrinsische Motivation häufig zu intrinsischer entwickelt - insbesondere wenn Teilnehmer_innen persönliche Fortschritte erkennen. Nach dem Aufnahmegespräch werden 25 Einheiten durchgeführt. Diese finden wöchentlich statt und umfassen im Einzelkontext 60 Minuten. Im Gruppenkontext variiert die Dauer je nach Gruppengröße zwischen zwei und drei Stunden. Zusätzlich zu den Gruppenterminen gibt es optional Einzelgespräche mit einzelnen Gruppenteilnehmern.

Bei den Trainingsinhalten finden die individuellen Bedürfnisse der Teilnehmer_innen stets Berücksichtigung. Als übergeordnetes Ziel des Anti-Gewalt-Trainings in der Beratungsstelle Zweite Chance steht allerdings die Befähigung der Teilnehmer_innen, ihr eigenes Verhalten zu kontrollieren, Provokationen zu bewältigen und Konflikte gewaltfrei zu lösen. Hierzu dienen folgende Themenblöcke als Eckpfeiler:

   -  Analyse der Aggressivitätsauslöser
    -  Provokationstests
    -  Analyse von Ideal- und Realselbst
    -  Neutralisierungstechniken
    -  Opferkommunikation
    -  Aggressivität als Vorteil
    -  Subkulturanalyse
    -  Fragen zur strukturellen Gewalt, die die Aggressivität bei Teilnehmer_innen fördert
    -  Entwicklung von Handlungsalternativen 
    -  Deeskalationstraining 


Systemischer Ansatz 

Im Rahmen des Anti-Gewalt-Trainings mit Kindern und Jugendlichen - unabhängig davon ob Einzeltrainings oder in der Gruppe - bieten wir obligatorisch Elternarbeit an. Da wir der Überzeugung sind, dass in jedem Fall eines Gewalt- oder Aggressionsproblems bei Kindern und Jugendlichen die angestrebte Veränderung im ganzen System stattfinden sollte, ist es wichtig, auch mit den Eltern beratend und unterstützend zu arbeiten.


Rechtliche Grundlage

Die Teilnahme an dem Anti-Gewalt-Training kann freiwillig oder als gerichtliche Auflage erfolgen, z.B. als Weisung im Rahmen eines Gerichtsverfahrens      (§ 10 JGG Abs. 1) oder als Einstellung eines Gerichtsverfahrens (§§45, 47 JGG).

Zudem kann das Jugendamt das Anti-Gewalt-Training als Nachbetreuung (Hilfe für junge Erwachsene §41 SGB VIII) anordnen.


Daten und Fakten zum Anti-Gewalt-Training in der Beratungsstelle Zweite Chance in Bremen

Dauer

6 Monate mit 25 Sitzungen 

Einzelkontext: Sitzung à 1 Stunde in der Woche  

Gruppenkontext: Sitzung á 2-3 Stunden in der Woche

Terminintervall

Eine Sitzung pro Woche

Bei Bedarf: Einzelgespräche mit Teilnehmer_innen aus dem Gruppensetting 

Gründe für die Teilnahme 

  • verbale- und/oder körperliche Gewalttätigkeit
  • Probleme, das eigene Verhalten zu kontrollieren 
  • Probleme, Provokationen zu bewältigen
  • fehlende Fähigkeit, Konflikte gewaltfrei zu lösen
  • vermehrte Anzeigen/Verurteilungen wegen gefährlicher/ schwerer Körperverletzung oder Tötungsdelikten

Alter

Der Teilnehmer muss mindestes das 12. Lebensjahr vollendet haben (Im Einzelfall werden auch jüngere Teilnehmer zugelassen). Auch Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung können das Training bei uns absolvieren. 

Anlassdelikte für das Training 

  •  § 223 StGB Körperverletzung 
  • § 224 StGB schwere Körperverletzung 
  • § 185 StGB Beleidigung 
  • § 240 StGB Nötigung 
  • § 253 StGB Erpressung

Kosten und Kostenübernahme

Es besteht eine Leistungs- und Entgeldvereinbarung nach § 77 SGB VIII mit dem Land Bremen. Eine Übernahme der Kosten kann dementsprechend durch das Amt für Soziale Dienste (AfSD) erfolgen. Ebenso besteht die Möglichkeit, dass der Ambulante Justizsozialdienst (AJSD) oder das Regionale Beratungs- und Unterstützungszentrum Bremen (ReBUZ) Kosten des Trainings übernehmen.

Gerne unterstützen wir Sie vorab bei der entsprechenden Beantragung. Sollte eine Kostenübernahme nicht möglich sein, besteht die Möglichkeit die Kosten als Selbstzahler zu tragen.

Als Selbstzahler belaufen sich die Kosten auf 95,00 € pro Teilnehmer_in und mehrstündiger Sitzung. Im Falle einer einer Kostenübernahme durch das AfSD, dem ReBUZ oder dem AJSD orientieren sich die Kosten an den geltenden Fachleistungsstundensatz.